Dieter Froelich: Von Texten und Würsten

„Es ist längst gesagt, daß, wer ein Kunstwerk recht genießen will, eine eigne ergänzende Kraft mitzubringen habe. So wahr dies auch ist, so läßt sich gleichwohl nicht läugnen, sowohl dass manche Künstler dieser ergänzenden Kraft des Beschauers zu viel zumuthen und überlassen, als auch, daß manche Beschauer so viel Ueberfluß davon consumiren und dem Werke übertragen, daß sie was ganz Anderes gegessen haben, als gekocht worden war.“ (1)
„Die Plastik strebt veränderte Ziele zu erreichen, in denen nicht mehr geredet, sondern Skulptur wieder angebetet wird. Wissen ist nicht gleich Kunst. Mit seinen Abgüssen versucht Froelich nichts zu beweisen oder neue Theorien aufzustellen oder gar sie selbst theoretisch einzubinden. Bei aller Präzision erkennen wir die Formellosigkeit der Plastik, nicht des Tuns; erkennen wir freie und offene Strukturen, Plastik als Matrix für Wege zum Mythos, für Entmaterialisierung durch Verdinglichung.“ (2)
„Diese Erinnerung ist Erinnerung an ein Prinzip. Wenn ich z. B. über den Flohmarkt gehe und etwas finde, ohne zu suchen, dann hat das mit der Form zu tun — hinter jeder Form steht eine Idee — es gibt keine leeren Formen. Deshalb ist es ein Sich-Wiederfinden in einer bestimmten Idee.“ (3)
„Für seine Kunst hat Froelich ein nicht sehr umfangreiches Repertoire von Motiven entwickelt, auf das er in den unterschiedlichen Arbeitsverfahren und in wechselnden Kombinationen immer wieder zurückgreift. Auf den ersten Blick scheinen diese Motive kaum Gemeinsamkeiten aufzuweisen.“ (4)
„...und tatsächlich enthalten die zitierenden Werkgruppen Froelichs noch ein bißchen zu viel an gutgemeinter Bildungstradition. Benjamins Verdikt einfach gegen den Sinn gerührt und mit einem Tick Warhol gründlich versalzen. Das kocht dann doch alles noch zu zäh im eigenen pubertären Brei. Und das gefällt dem Kunstmarkt.“ (5)
„D.F. ist, das wird deutlich, ein Skeptiker hohen Grades gegenüber den Möglichkeiten, sich die Welt durch Nachbildungen, durch Texte und Worte und durch skulpturale Nachbildung vertrauter zu machen. Er erlaubt sich aber trotzdem, wenigstens die Frage nach einer möglichen anderen Erscheinung des Realen wie des jeweils assoziierten Bildes oder Begriffes jenseits ihrer augenblicklichen und vielleicht sogar absichtlich banal wirkenden Erscheinung zu erhoffen. Die Antwort bleibt - vorläufig - offen: sie zu stellen ist erst einmal Tat genug. (6)
„Immer wieder umkreist Dieter Froelich die Frage nach dem Bild, nach der Identität von Bildern und Abbildern, von Objekten und Abgüssen, von Texten und Sinnbildern. Er fragt und behauptet. Aber so präzise seine Formen und Ordnungen sind, so wenig ist er ein Gestalter, der sich erklärt. Die Worte und Texte erläutern nichts. Sie sind einfach Bilder mit anderen Mitteln. Froelich sammelt die Bildmittel aus allen Lebensbereichen - aus der Küche und der Kirche, aus der Kindheit und der Welt der Expeditionen, aus der Schulzeit und der Industrie, aus der Geschichte, der Kunst und der Literatur, um zweierlei gleichzeitig zu erreichen: Er beschwört entfernt liegende Erlebnisräume und provoziert Neubestimmungen des Bildes.“ (7)
„Selbst schuld, wer sich noch freiwillig zur Avantgarde einziehen läßt. Wer spricht von Siegen, Überstehen ist alles, sage ich. Mir scheint, sage ich, als demonstrierten Ihre Arbeiten vor allem dies: Überstehen in einem permanenten Zustand der Gefahr. Ob das das mit dem Siegen von Benn ist, wollen Sie wissen? Kann schon sein. Jedenfalls gilt, was Hegel vom Soldaten sagte, erst recht für den Künstler: Je schlechter er ist, desto mehr sieht man ihn selbst. (In Deckung gehen: Wo sind Sie, Froelich?)“ (8)
„Dieser Minimalismus und die Konzentriertheit geben den Objekten etwas Stummes, Verschlossenes, Selbstversunkenes. Mit Geschwindigkeit, Beschleunigung, Komplexität, Mobilität, Vernetzung, Dynamik haben die schönen Quasi-Vasen nichts zu tun. Sie wirken entrückt archaisch und betonen in ihrer Konzentrik den Ort. Als weißer Ort der Stille scheint das Ensemble zeitlos oder: wie eine Behauptung des Raumes gegen die Zeit, wie ein Widerstand gegen die grassierende Ortlosigkeit und das Verschwinden.“ (9)
„Die Produktion meiner täglichen Mahlzeiten ist mir ebenso wichtig wie die Zubereitung meiner Plastiken.“ (10)
„Regula 385: Gehirn Würste — Man nimmt etwas schier Schweinfleisch nach Gutdünken und halb so viel Schweinsfett, solches zusammen ganz fein gehackt, denn so nimt man 1, 2, oder 3, nach Regula 4, in Wasser oder Rindfleisch-Suppe geweichte Rundstücke, nachdem man viel oder wenig Schweinfleisch genommen hat, nebst gestossenen Negelein, Pfeffer, Koriander, Salz, klein geschnittenen Zwiebeln in Schweinsfett gebraten, das Gehirn aus einem Schweinskopf ein paar mal durchgehackt, einige Eyerdotter, das alles zusammen wohl durch einander gemenget und denn in Därmen gemacht, sie werden auf einem Rost gar gebraten und mit einer Soße oder sonst bey einem Gemüse gegeben.“ (11)


(1) Anthonius Anthus „Vorlesungen über die Esskunst“, Leipzig 1881.
(2) Dieter Ronte in: „D.F. plastik“, Hannover 1990.
(3) Froelich im Gespräch mit Angelica Horn. Aus „D.F. Plastiken – Zeichnungen“, Frankfurt/Main 1987.
(4) Dietmar Elger in: „D.F. Plastische Arbeiten“, Hannover 1993.
(5) Inken Steen im Hörfunk Radio Bremen anlässlich der Ausstellung: „Fischer, Fischer, wie tief ist das Wasser?“, Kunstverein Bremerhaven 1994.
(6) Thomas Deecke in: „Junge Kunst in Niedersachsen 2“, Hannover 1994.
(7) Dirk Schwarze anlässlich der Ausstellungseröffnung „D.F. Plastik“ in der Galerie Terbrüggen, Heidelberg 1995.
(8) Thomas Hettche in „Roma.(non c’è)“, ein Sammelalbum D.F., Rom 1996.
(9) Burkhard Brunn in der Frankfurter Rundschau vom 13.01.2000 anlässlich der Ausstellung „D.F.(plastik)“ in der Galerie Sandmann+Haak, Hannover.
(10) D.F.: Notizen, 18.12.1994
(11) Marcus Loofft, „Niedersächsisches Kochbuch“, Altona und Lübeck 1758.